Was denn …? Ein holländischer Komponist?
Die Cellistin Katharina Troe und der Geiger Oliver Kipp spielen Musik von Julius Röntgen (1855-1932)
Es ist schon komisch: Es gibt Komponisten, die sind richtig gut – und trotzdem fast unbekannt oder vergessen oder beides zusammen.
Julius Röntgen ist so ein Typ. Der hat zwar einen deutschen Namen, war aber Holländer. Aufgewachsen ist er trotzdem in Deutschland und zwar in Leipzig, wo sein Vater zweiter Konzertmeister des Gewandhausorchesters und Lehrer am Konservatorium war.
Julius Röntgen war ein Wunderkind und hat weder eine Schule noch eine Universität besucht. Aber das war auch gar nicht nötig, da seine Mutter Pianistin und sein Vater, wie gesagt, Geiger war. Und dann war ja auch noch ungefähr die Hälfte der berühmtesten Lehrer für Kontrapunkt, Musiktheorie und Komposition in ganz Europa mit den Röntgens entweder befreundet oder wohnte gleich um die Ecke.
Schon von Kindesbeinen an entfaltete sich alles in Röntgens Leben logisch und absolut folgerichtig. Mit neun Jahren komponierte er sein erstes Stück, als er vierzehn war, spielten sein Vater und Joseph Joachim eines seiner Violin-Duos im Gewandhaus, und mit fünfzehn spielte Röntgen, der sein ganzes Leben lang ein herausragender Pianist war, dem Übervater aller Klaviervirtuosen vor, nämlich Franz Liszt.
1878 übersiedelte Röntgen nach Amsterdam, wo er Klavierlehrer erst an der Musikschule und dann am Konservatorium wurde.
Und jetzt begann eine Phase ungeheuren Fleißes, die fast bis an Röntgens Lebensende andauern sollte. In 50 Jahren erstaunlicher Anstrengung und dauernder Betriebsamkeit komponierte Röntgen 25 Symphonien (von denen manche eine Stunde dauern), sieben Klavierkonzerte, fünf Violinkonzerte, drei Cellokonzerte und ganze Bibliotheken an Kammer- und Klaviermusik. Darunter 22 Streichquartette, mehr als Beethoven.
Seit der Wiener Klassik, seit Haydn und Mozart, ist kein Komponist mehr so fleißig und fruchtbar gewesen, und wenn man bedenkt, dass Röntgen viel weniger nach Schemen arbeiten konnte als die Komponisten des Barock und der Frühklassik – dann ist das eine der gewaltigsten Lebensleistungen seit dem Barockkomponisten Georg Philipp Telemann, der, wie man sagt, den Einkaufszettel vertonen konnte.
Röntgen war mit Johannes Brahms und Edvard Grieg und vielen anderen Musikern seiner Zeit befreundet und holte sich seine Ideen, wo er sie finden konnte; auch in der Folklore unterschiedlichster Länder und sogar beim Jazz. Das ist ein Zeugnis für Unvoreingenommenheit und einen offenen, kosmopolitischen Geist, es ist aber auch ein Hinweis auf manchmal geringe Originalität und mangelnde Eigenständigkeit – der Hauptgrund dafür, dass Röntgens Musik nach seinem Tod zuerst einmal ein paar Jahrzehnte lang weniger gespielt wurde. Julius Röntgen war kein Neuerer, sondern ein Vollender vorhandener Inhalte, Mittel und Formen – das aber in technischer Perfektion. Alles, was Röntgen komponiert hat, ist gut erfunden, hervorragend gesetzt, oft klangschön und bei seinen Solokonzerten jeweils perfekt auf den Instrumentalisten zugeschnitten.
Es gibt kaum eine Besetzung, für die Röntgen nichts komponiert hat, womit wir bei seinen Stücken für Violine und Cello wären. Für diese beiden Instrumente, mit denen Röntgen seit seiner Jugend bestens vertraut war, hat er in seinen letzten Lebensjahrzehnten eine Fülle von Werken geschrieben, die sich bei den Solostücken ganz eindeutig an barocken Vorbildern – hier natürlich an Johann Sebastian Bach -, aber auch an Max Reger orientieren. Daneben gibt es formal weniger strenge Stücke, die ihre thematischen Einfälle oft holländischen und skandinavischen Volksliedern entnehmen. Sogar afroamerikanische Spirituals, die Röntgen auf einer Reise in die USA kennenlernte, verarbeitet er.
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